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Süddeutsche Zeitung Nr. 17

Donnerstag, 22. Januar 2015

Katzenglück

Nirgendwo sonst gibt es so viele Jaguare wie im Südwesten Brasiliens. Manchmal kommt man ihnen sogar näher als man möchte.
Von Susanne Mittenhuber
Die staubige Piste voller Schlaglöcher und Holzplanken endet am Fluss. Neben einem Motorboot wartet Lino Rocha, der die Gäste tiefer in den Sumpf bringt. Die erste Kontaktaufnahme ist schwierig. Es fehlt die gemeinsame Sprache. Aber es geht auch so. Rocha zeigt auf ein paar Schwimmwesten. „Muss man die anziehen?“ Er zuckt mit den Achseln. Also nicht. Der Motor heult auf. Das Wasser spritzt. Auf ins Pantanal.
Nur zehn Minuten dauert die Fahrt durch das 230 000 Quadratkilometer große Feuchtgebiet im Südwesten Brasiliens, dann drosselt Rocha auch schon abrupt den Motor. Während sich seine Passagiere noch erschrocken fragen, ob etwas passiert ist, deutet er auf die Sandbank am Ufer. Dicke Pranken, massiger Körper, selbstbewusst wirkender Gang: So schreitet ein Jaguar aus der Böschung ans Ufer. Zehn Meter vor ein paar badenden Wasserschweinen lässt er sich nieder. Im Boot herrscht Aufregung. Und Ernüchterung: Keiner hat seine Kamera parat.
Am Ende des Tages werden es drei Jaguare sein, die Lino Rocha an den Ufern des Rio Cuiabá und dessen Seitenarmen aufstöbert. Drei Jaguare! Das sind doch scheue Tiere, schwer zu sichten, heißt es immer. Was war das also: Glück, Zufall?
An den Flüssen gibt es so viel Beute, dass die Tiere nur tagsüber jagen müssen
„Nein, das war kein Glück, und eigentlich war das auch nichts Besonderes“, versichert der Biologe und Toueristenführer André Moratelli. Er selbst habe an einem Morgen am Rio Cuiabá fünf Jaguare gesichtet, erzählt er. Ein Freund von ihm sogar neun an einem Tag. „Es gibt keinen besseren Ort in Südamerika, um Jaguare zu sehen.“
Zwei Flüsse im Pantanal gelten als besonders gute Ausgangspunkte für eine Jaguar-Safari: der Rio Cuiabá, der gut zu erreichen ist über die Transpantaneira, eine aufgeschüttete Straße, die schnurgerade in die Pampa führt. Und der entlegene Rio Paraguay, der das Taiama Ecological Reserve begrenzt. Am Rio Cuiabá sind die Jaguare mittlerweile an Motorboote mit Touristen gewöhnt; sie lassen sie bis auf wenige Meter herankommen. Am Rio Paraguay sind die Tiere scheuer.
Im Auftrag der Universität des Bundesstaates Mato Grosso beobachtete André Moratelli die Jaguare 20 Jahre lang. Er stattete sie mit Senderhalsbändern aus, baute Fotofallen auf, las ihre Spuren. Er erforschte, wie Jaguare jagen, wie sie sich paaren, wie sie ihre Revierkämpfe austragen. Was André Moratelli aber selbst nach so langer Zeit immer noch nicht weiß, ist, wie viele Tiere es hier überhaupt gibt. „Das Pantanal ist etwa so ausgedehnt wie Großbritannien“, erklärt er. Man bräuchte viele Leute und viel Geld, um verlässliche Zahlen zu bekommen.“
Auf dem amerikanischen Kontinent soll es zwischen 15 000 und 25 000 Jaguare geben. Die Tiere ähneln zwar Leoparden, sind aber eher mit Tigern vergleichbar. Männchen wiegen im Schnitt um die 100 Kilo. Ursprünglich waren Jaguare auch im Süden der USA verbreitet, mittlerweile findet man sie aber nur noch in Mittel- und Südamerika. Wie Tiger lieben Jaguare Wasser, und sie entfernen sich meist auch nicht allzu weit davon. Nun gibt es viele Flüsse in den Weiten des Amazonasbeckens, und trotzdem ist es schwer, Jaguare darin zu entdecken. Forscher vermuten, dass die Tiere im Dschungel nicht nur nachts, sondern auch tagsüber jagen, um ihre weit verstreut lebende Beute aufzuspüren. Am Rio Cuiabá und am Rio Paraguay indes gibt es Wasserschweine und Kaimane im Überfluss, die Jaguare können hier ein weniger verstecktes Leben führen. Es reicht, wenn sie tagsüber jagen: Die Wasserschweine kommen zuverlässig am Morgen und am Nachmittag ans Ufer, die Raubkatzen müssen nur zuschlagen.
Von Menschen hat der Jaguar hier nichts zu befürchten. Das war nicht immer so. Bis in die achtziger Jahre wurden Jaguare im Pantanal massiv gejagt. Als Kind kannte André Moratelli nur tote Jaguare. Voller Stolz hätten die Kinder der Farmer in der Schule Bilder der erlegten Raubkatzen gezeigt, erzählt Moratelli. „Mich haben die Bilder regelrecht krank gemacht. Dieses Posieren vor den Tieren. Ich fand es furchtbar.“ Natürlich sei vorgekommen, dass ein Jaguar auch einmal ein Rind gerissen habe. Aber das sei nicht der eigentliche Grund für das Töten gewesen. „Ein toter Jaguar war vor allem eine Trophäe.“
Als Kind empfand Moratelli Mitleid für die Tiere. Heute faszinieren ihn ihre Kraft und Effizienz. Im Gegensatz zu anderen Großkatzen wie Löwe, Tiger oder Leopard tötet der Jaguar sein Opfer nicht mit Prankenhieben oder Bissen in den Nacken, sondern durch einen einzigen Biss in den Kopf. Menschen empfänden solch einen Angriff oft als besonders grausam, sagt Moratelli. Dabei sei es für das Beutetier ein schneller Tod.
Diese Art des Tötens mag dazu beigetragen haben, dass der Jaguar in vielen präkolumbischen Kulturen zum Symbol für Macht und Stärke wurde. Zu den bekanntesten Figuren der Olmeken-Kultur, die um das Jahr 1500 vor Christus im mexikanischen Hochland entstand, zählt der Jaguarmensch, ein Mischwesen mit Menschenkörper und Jaguarkopf. Auch die Priester der Maya hüllten sich in Jaguarfelle und schmückten ihre Tempel mit Jaguardarstellungen. Bei den Azteken schließlich waren die Jaguarkrieger eine Eliteeinheit der Armee. Sie galten als besonders mutig, aber auch als besonders brutal.
Seit im Pantanal immer mehr Farmer auch vom Öko-Tourismus leben, haben Jaguare selbst auf den Ländereien der Rinderzüchter wenig zu fürchten. Dennoch gibt es Konflikte, betont André Moratelli. Die Fischer am Rio Paraguay fühlen sich durch die Jaguare bedroht. Meist feuerten sie nur Schüsse in die Luft ab, um die Tiere zu vertreiben, sagt Moratelli. Aber er habe auch schon beobachtet, dass die Fischer die Raubkatzen mit Fischabfällen anlocken und auf sie schießen.
Die Raubkatzen sind Sauberkeitsfanatiker. Wo sie liegen, stört jedes Blatt
Es ist ein gefährliches Spiel, auf das sich die Fischer einlassen. In den vergangenen Jahren gab es am Rio Paraguay drei Angriffe von Jaguaren auf Fischer. Ihre Scheu vor dem Menschen scheinen die Raubtiere verloren zu haben, ihre Aggressivität nicht. Den Biologen ist klar, dass das Anfüttern mit Angriffen zusammenhängt.
Am Rio Cuiabá ist die Lage entspannter. Hier gibt es praktisch keine Menschen mehr, die vom Fischfang leben; die Bewohner haben den Fluss haben den Fluss den Angeltouristen überlassen. Und den Teilnehmern der Jaguar-Safaris, die erst seit einigen Jahren an den Rio Cuiabá kommen.
Aber auch hier sollte man nicht vergessen, dass der Jaguar ein Raubtier ist. Solange man im Boot bleibe und einen Abstand von mindestens 15 Metern zu den Tieren halte, sei alles in Ordnung, versichert Moratelli. Kritisch werde es am Ufer. „Jaguare haben bevorzugte Plätze, die sie immer wieder aufsuchen.“ Diese zu entdecken, sei gar nicht so schwer. Als Sauberkeitsfanatiker dulden Jaguare weder störende Blätter noch aufgewühlte Erde an ihren Plätzen. Je makelloser und aufgeräumter eine Stelle in Ufernähe sei, umso vorsichtiger solle man sich dort bewegen. Lino Rocha entscheidet sich denn auch dagegen, seine Gäste zur Mittagsrast am idyllischen Ufer abzusetzen. Er fährt ein Stück weiter, wo es weniger einladend, dafür aber sicher ist. „Er weiß eben, was er tut“, sagt Moratelli.
Anreise: Flug mit KLM von Frankfurt über Amsterdam und São Paulo nach Cuiabá ca. 1050 Euro, www.klm.com; mit TAM von Frankfurt über São Paulo nach Cuiabá ca. 1200 Euro, www.tam.com
Übernachtung: Hotel Porto Jofre, DZ ca. 190 Euro, Vollpension, www.portojofre.com.br; Jaguar Eco Lodge, DZ ca. 90 Euro, Vollpension, www.jaguarreserve.com
Reisearrangements: Aventura do Brasil, ein deutscher Spezialanbieter, hat eine sechstägige Nordpantanal-Tour im Programm, ca. 1700 Euro pro Person, www.aventuradobrasil.de; Pantanal Jaguar Safaris bietet Touren mit André Moratelli an, sechstägiges Jaguar-Tracking inklusive drei Tage Boot-Safari auf dem Rio Cuiabá, ca. 1800 Euro pro Person, www.pantanaljaguarsafaris.com