Lampiao und Maria Bonita
Eine brasilianische Legende
Landschaft und Klima machen den Nordosten zu einem beliebten Ziel von Brasilien Reisenden. Doch wer hätte gedacht, dass diese Region eine düstere Vergangenheit hat? Der Bandit Lampiao trieb hier sein Unwesen. Er prägte die Folkloremusik und ist bis heute durch Telenovelas, Filme und Literatur in aller Munde. Seine Heimat war das Sertao, die halb wüstenartige Vegetation im brasilianischen Binnenland. Baum- und Strauchsavannen durchziehen das von geringen Niederschlägen gekennzeichnete Gebiet in den Bundesstaaten Ceara, Paraiba, Pernambuco, Alagoas und Sergipe. Einigen wenigen Viehzucht treibenden Fazendeiros (Großgrundbesitzer) steht im Sertao bis heute eine verarmte Bevölkerung gegenüber.
Nun liest sich die wahre Geschichte des Schurken Lampiao spannender als jeder Krimi:
Im Jahr 1898 wird Virgulino Ferreira da Silva als Sohn eines Viehhirten in Pernambuco geboren. Sein späterer Spitzname Lampiao rührt her vom Mündungsfeuer seiner Waffe, welche Silva modifizierte. So feuerte sein Gewehr in unmittelbarer Abfolge und zeigte das Dauerleuchten einer Laterne (portugiesisch „Lampiao“).
Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts führten tiefe Armut und Unterdrückung der Landbevölkerung zur Bildung von verbrecherischen Banden. Diese „Cangaceiros“ (Gesetzlose) plünderten Städte, Fazendas und Stützpunkte der Armee. Virgulino da Silva schloss sich den Gesetzlosen des Sertao an, nachdem die Polizei seinen Vater während einer Familienfehde tötete. Bereits 1920 stieg er zum Anführer einer Gruppe von fünfzig Banditen auf, deren Grausamkeit legendär wurde. Wenn ihre Opfer die gestellten Forderungen erfüllten, gab es eine Feier. Bei Verweigerung folgten unweigerlich Gewalt und Folter. Schon zu Lebzeiten war Lampiao ein Phänomen und überwand sieben Kugeln und den Verlust seines rechten Auges. Das Pfeifen des Liedes „Mulher Rendeira“ (Spitzenklöpplerin), das er für seine Großmutter komponierte, kündigte seine Raubzüge an. Es wurde im Nachhinein vielfach vertont, unter anderem von der berühmten amerikanischen Sängerin Joan Baez. Der Ehrenkodex des Sertao machte ihn zum Helden, da er ehrenhaft Blutrache an den Mördern seines Vaters nahm. Nüchtern betrachtet war Silva ein blutrünstiger und cleverer Krimineller, der das Überleben in der Wildnis von seinem Vater lernte und sich ein Vorbild an den Indianern nahm. Seine Cangaceiros nutzten einen gemeinsamen Fußabdruck, um keine Spuren zu hinterlassen. Starb ein Halunke, so nahm ein anderer dessen Namen an, damit der Mythos der Unsterblichkeit gewahrt blieb. Einflussreiche Beziehungen zu Politikern und Polizisten sicherten lange die Unantastbarkeit von Lampiao und seinen Spießgesellen. Als Höhepunkt dieser Ungeheuerlichkeit schloss die brasilianische Regierung 1926 einen Vertrag mit Silva. Gegen die Ausstattung von hundertzwanzig Cangaceiros mit Waffen und Uniformen verlangte Brasiliens Staatsoberhaupt die Niederschlagung einer sozialistischen Soldatenrevolte.
Ausgerechnet die Liebe brachte Lampiao den Untergang. Maria Bonita („Die Schöne“) war zunächst seine Geliebte und Ehefrau, ehe sie als erstes weibliches Mitglied Aufnahme in den Verbrecherclan fand. Andere Frauen folgten und es kam zu Eifersüchteleien und Zwistigkeiten innerhalb der Gruppe. Schließlich informierte ein Verräter die Militärpolizei in Sergipe über den Aufenthaltsort der Schurken. Man stellte und erschoss Silva, Maria und neun ihrer Komplizen im Jahr 1938. Die Köpfe von Silva und Co wurden in Salzlake konserviert und öffentlich ausgestellt. Im Museum der medizinischen Fakultät der Universität von Salvador da Bahia verblieben sie bis in die sechziger Jahre.
Der von vielen als „Robin Hood des Sertao“ romantisierte Lampiao war schlichtweg ein großer Verbrecher. Nichts desto trotz verdankt seine Heimat ihm einen gewissen Bekanntheitsgrad. Auf seinen Spuren wandeln kann man im Heimkino („Die Gesetzlosen“, Film von 1953) oder im Brasilien Urlaub. Lampiaos Kugelhagel braucht heute niemand mehr zu fürchten.
Quellen: caiman.de